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Die Lust an der Bewegung und am Spiel

Bewegungsorientierte Instrumentalpädagogik
Ausgangspunkt der hier vorgestellten bewegungsorientierten Instrumentalpädagogik, die in den letzten beiden Jahren von Volker Rausenberger (Akkordeonlehrer) und Christian Billian (Komponist) entwickelt und erprobt wurde, ist die Lust von Kindern an Bewegung und Spiel. Die gemeinsame Motivation ist es, Kindern das Spielen und Wahrnehmen von Musik auf eine Weise zu vermitteln, die ihnen dazu verhilft, selbstständig zu lernen, zu begreifen und Musik zu beurteilen. Das Ziel ist es, eine Lernumgebung zu schaffen, in der Kinder befreit von instrumentaltechnischen Schwierigkeiten, Freude am Musik machen haben und selbsttätig kreativ, experimentell und explorativ mit Musik und dem Akkordeon umgehen können.

Bei der Entwicklung der bewegungsorientierten Instrumentalpädagogik bildeten sich folgende Schwerpunkte heraus:
- Die Lernumgebung der bewegungsorientierten Instrumentalpädagogik orientiert sich an der Erlebniswelt von Kindern und ist so gestaltet, dass sie möglichst viele Sinne anspricht.

- Vor dem Hintergrund der altersspezifischen Bewegungsfertigkeiten und Koordinationsfähigkeiten erwerben die Kinder u.a. mit dem Fingerzirkus und mit Elefant Willibald und seine Freunde einen bewussten Umgang mit den für das Akkordeonspiel notwendigen Bewegungen und Koordinationen. Der Fingerzirkus versammeln exemplarisch die Bewegungs- und Koordinationsgrundlagen des Akkordeonspiels und macht gleichzeitig den Aufbau der Manuale und deren Tonanordnung verständlich.

- Die Kinder lernen ein breites Spektrum an ästhetischen Entwürfen kennen und erlangen dadurch Unterscheidungskriterien für das Wahrnehmen von Musik. Neue Musik wird im Unterrichts­material in einem Kontinuum zwischen musikalischem Alltag der Kinder (Kinderlieder, U-Musik, Klassische Musik etc.) und innovativen Musikentwürfen vermittelt.

- Die ersten Stücke sind so stabil und robust konzipiert, dass ihre Interpretation einen spielerischen Umgang ermöglicht und die Kategorien „Richtig“ und „Falsch“ nicht von Beginn an ins Spiel kommen.

- Das Unterrichtsmaterial ist über den Text oder den Titel selbsterklärend angelegt und lädt die Schüler dazu ein, die Themen der Stücke selbst zu begreifen, ohne dass der Lehrer verbal erklärend hinzutreten muss.

- Die Aufgabe des Lehrers ist die eines Beraters, der die Schüler zum eigenen Verstehen ermutigt und befähigt. Der Weg zur Selbstständigkeit ist das Anleiten zur Selbsttätigkeit.

Einer der tiefsten Beweggründe bei der Arbeit an diesem Konzept ist der Versuch, das Verstehbare verstehbar, bzw. verständlich zu machen. Im Sinne von Wagenschein, wenn er sagt: „Die Kinder fordern von uns, solange sie noch nicht ,betäubt’ sind, dass wir ihrem Verstehen-wollen Nahrung geben. Stattdessen glauben wir oft, wir hätten an sie Forderungen zu stellen, die sich dann, bei Licht besehen, als der unleidliche Zwang herausstellen, Unverstandenes zu üben“ 1. Es geht daher um ein Eingehen auf dieses „Verstehen-wollen“ der Kinder und nicht zuletzt um ein sich zuwenden zur Denkweise und dem jeweiligen Entwicklungsstand der Kinder. „Ich glaube“, schrieb Descartes, „dass selbst zur Entdeckung der schwierigsten Wahrheiten, wenn man richtig geleitet wird, nichts als der gesunde Menschenverstand erforderlich ist“2. Das Wort ‚leiten’, hier verstanden als Aufgabe des Lehrenden, bedeutet nichts anderes als eine angemessene Aufbereitung der zu bewältigenden Aufgaben im Instrumentalunterricht mit dem Akkordeon, vor dem Hintergrund des Wissen- und Verstehen-wollens der Kinder.

Weiterhin von Wagenschein angeregt, haben wir das musikalische Material nach dem Prinzip des Exemplarischen konzipiert. „Das exemplarische Betrachten ist das Gegenteil des Spezialistentums. Es will nicht vereinzeln: es sucht im Einzelnen das Ganze.“3
Auch im Fingerzirkus haben wir „das Einzelne nicht als Stufe des Ganzen, sondern als [dessen] Spiegel“4 versucht zu verwirklichen. Darin entwickeln die Schüler systematisch ihre instrumentalen Fähigkeiten wie Orientierung, Koordination oder Beweglichkeit sowie Fertigkeiten wie Übersetzen, Sprünge oder Doppelgriffe durch Tierfiguren, die den jeweiligen spieltechnischen Bewegungsprinzipien zugeordnet sind.
Das In-Handlung-setzen der Schüler noch ohne Noten, ihr Selbsttätig-werden, folgt Erkenntnissen der Psycho-Motorik. Sie sieht es als äußerst wichtig an, Kinder in Situationen zu versetzen, in denen sie selbst etwas bewirken und verändern können. Bei Renate Zimmer heißt es: „Veränderungen des Selbstkonzeptes treten nur dann ein, wenn der Erfolg einer Tätigkeit als selbst bewirkt erlebt wird und nicht als zufallsbedingt oder von äußeren Einflüssen gesteuert wird. Daher ist eine wesentliche Vorbedingung für die Entwicklung eines positiven Selbstwertgefühls das Bereitstellen von Situationen, in denen das Kind aktiv werden kann“5 und zudem das kindliche Neugierverhalten sowie ihr exploratives Streben verstärkt wird. Dies geschieht bei Kindern vornehmlich im „Spiel“, das für Kinder vom zeitlichen Umfang gesehen die Haupttätigkeit darstellt. Daraus folgt, dass das Spiel Teil des Lernens wie umgekehrt das Lernen immer Teil des kindlichen Spiels ist.

So bilden auch bei uns Wahrnehmung und Bewegung die Grundlage der Handlungsfähigkeit. Friedhelm Schilling sieht das Ziel jeder Bewegungsadaption darin, „durch ständiges Wiederholen der Bewegungen (Lernen – Üben) die Anpassungen an die Umweltbedingungen zunehmend zu verbessern. Auf diesem Weg kommt es zur Ausbildung von Fertigkeiten“6. Dieses ständige Wiederholen der Bewegungen erfahren die Schüler in immer variierter Form im Fingerzirkus.

In Anlehnung an die Bewegungslehre haben wir den Komplex Spieler und Akkordeon dahingehend untersucht, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten den Schülern zur Verfügung stehen müssen, um befreit musizieren zu können. Dazu haben wir die Bewegungen sowohl im Fingerzirkus als auch im Elefant Willibald und seine Freunde systematisiert nach Einfach – Komplex – Kombiniert. Die Kinder beschreiten durch dieses systematische Konzept einen Weg, „der von der Handlung beim Anfangslernen zur gelernten Fertigkeit und schließlich zur variablen Technik auf hohem Niveau führt“7

Es geht uns also in erster Linie:

a) um das Betrachten und Verstehen des Musikausführenden, des Menschen, und hier im Besonderen des Kindes und seiner Wirklichkeit.
b) um das Ausarbeiten der für das Akkordeon spezifischen Bewegungsprinzipien und -formen.
c) um das Ausarbeiten der den Bewegungsprinzipien sowie den instrumentalen Aufgaben zugrunde liegenden Fähigkeiten und Fertigkeiten.

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1 M.Wagenschein, Verdunkeltes Wissen, 1965, Vortrag am Hessischen Rundfunk
2 ebenda
3 S.13; M.Wagenschein, Das exemplarische Prinzip, 1962, Darmstadt
4 M.Wagenschein, Verdunkeltes Wissen, 1965, Vortrag am Hessischen Rundfunk
5 S.75; R. Zimmer, Handbuch der Psychomotorik, , Freiburg 1999
6 S. 23-26; Schilling, Motorik im Vorschulalter, Schorndorf 1975
7 S.27; H. Rieder, Bewegungslernen und Techniktraining, Schorndorf 1991
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Eine ausführliche Ausarbeitung des Konzeptes wurde unter dem Titel
Das Verstehen des Verstehbaren ist ein Menschenrecht“ in der Fach- und Informationszeitschrift des Deutschen Akkordeonlehrer-Verbandes e.V. (DALV) Das Akkordeon“, Nr. 26, Trossingen, Juli 2006, veröffentlicht.

Spielraum Musikverlag Volker Rausenberger | Eisenbahnstr. 4 | 79423 Heitersheim